Annahmeverzugslohn und Kündigung

Positive Entwicklung für Arbeitgeber und gleichzeitig „Falle“ für Arbeitnehmer?

Laut den aktuellsten Zahlen des statistischen Bundesamts, die sich auf das Jahr 2020 beziehen, enden etwa zwei Drittel der arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten mit einem Vergleich. Das hat zumeist gute Gründe: Viele Arbeitnehmer wehren sich gegen eine Kündigung durch eine Kündigungsschutzklage. Das Verfahren kann sich in die Länge ziehen, daraufhin steigen die Kosten, das schwebende Verfahren belastet die Planungssicherheit der Parteien und das Vertrauensverhältnis ist häufig sehr angespannt. Eine belastende Situation für beide Parteien.

Annahmeverzug – Risiko für den Arbeitgeber

Doch gerade für den Arbeitgeber birgt die Kündigungsschutzklage finanzielle Risiken. Zum einen ist da der Kündigungsschutz der Arbeitnehmer, der der sozialen Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer Rechnung trägt und für die Wirksamkeit einer Kündigung hohe Anforderungen aufstellt. Zum anderen ist da der drohende „Annahmeverzugslohn“: Durch die Kündigung bringt der Arbeitgeber zum Ausdruck, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr anzunehmen. Stellt das Arbeitsgericht fest, dass die Kündigung unwirksam war, besteht das Arbeitsverhältnis fort und der Arbeitnehmer kann einen Anspruch auf Nachzahlung der Vergütung für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zur Entscheidung des Gerichtes geltend machen, obwohl er nicht gearbeitet hat. Dieser kann sich je nach Länge des Verfahrens auf mehrere Monats- oder sogar Jahresgehälter erstrecken. Doch besteht der Lohnanspruch immer und in voller Höhe?

Anrechnungspflicht des Arbeitnehmers

Nein! Der drohende Annahmeverzugslohn in Höhe mehrerer Monatsgehälter, dessen Abwendung viele Arbeitgeber zur Vergleichsbereitschaft inklusive hoher Abfindungszahlungen motiviert, hat Grenzen. Der Arbeitnehmer muss sich nämlich anrechnen lassen, was er durch anderweitige Arbeit verdient hat, oder durch andere Arbeit hätte verdienen können. Auch Sozialleistungen sind anzurechnen. Doch wie findet der Arbeitgeber heraus, ob überhaupt etwas anzurechnen ist?

Informationsanspruch des Arbeitgebers

Bereits in seiner Entscheidung vom 27. Mai 2020 (Az.: 5 AZR 387/19) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Rechte der Arbeitgeber gestärkt. Hier wurde dem Arbeitnehmer die Pflicht auferlegt, den Arbeitgeber über die Jobangebote der Arbeitsagentur und über seine Bemühungen, eine neue Arbeitsstelle zu finden, zu informieren. Der Arbeitgeber habe keinerlei andere Möglichkeit, auf legalem Weg Informationen über die Anrechnungspflicht des Arbeitnehmers und die Höhe des anzurechnenden Betrags zu erhalten. Deswegen sei der Informationsanspruch gerechtfertigt, so das BAG.

Bewerbungen als „Vollzeitjob“

Noch weiter geht eine aktuelle und bemerkenswerte Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes (LAG) Berlin-Brandenburg vom 30. September 2022 (Az.: 20 Ca 3918/20). Auch hier konnte der Arbeitgeber seinen Informationsanspruch durchsetzen und stellte dadurch fest, dass der Arbeitnehmer durch die Arbeitsagentur zahlreiche zumutbare Vermittlungsangebote erhalten hatte, sich jedoch hierauf nicht, oder nur unzureichend beworben hatte.

Das LAG stellte hierzu fest, dass der Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses beschäftigungslos und daher zu Bewerbungsbemühungen verpflichtet sei, die „dem zeitlichen Umfang einer Vollzeitstelle“ entsprechen. Er müsse sogar bei potenziellen Arbeitgebern nachhaken, wenn er auf seine Bewerbung keine Antwort erhalten habe. Das Gericht ging umfangreich auf die Qualität und Ernsthaftigkeit der Bewerbungen des Arbeitnehmers ein, die es ebenfalls als unzureichend bewertete. Aus diesen Gründen versagte das Gericht dem Arbeitnehmer jeglichen Annahmeverzugslohn.

Fazit

Es sei dahingestellt, ob gekündigte Arbeitnehmer – überspitzt gesagt – 40 Stunden in der Woche Bewerbungsbemühungen anstellen müssen. Viele Arbeitnehmer hoffen auf einen erfolgreichen Kündigungsschutzprozess und haben keineswegs mit Ihrer alten Arbeitsstelle abgeschlossen. Die Meinung des LAG Berlin-Brandenburg geht sehr weit und es bleibt abzuwarten, ob die aufgestellten Grundsätze zu Lasten der Arbeitnehmer von anderen Gerichten geteilt werden. Gleichwohl können sich Arbeitnehmer künftig nicht darauf verlassen, nach einem erfolgreichen Kündigungsschutzprozess Annahmeverzugslohn in voller Höhe zu erhalten, sondern sollten sorgfältig ihre anderweitigen Berufsaussichten prüfen und die Aufnahme einer zumutbaren Beschäftigung erwägen. Die jüngste Entwicklung der Rechtsprechung wird zweifellos aus Arbeitgebersicht begrüßt. Bei der Entscheidung über die Vorgehensweise im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens sind die Entscheidungen des BAG und des LAG Berlin-Brandenburg in jedem Fall zu berücksichtigen. Das gilt für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen.

ACHTUNG

Warnung vor betrügerischen E-Mails