Pflicht zur Arbeitszeiterfassung und Verjährung von Urlaubsansprüchen

Mit dem neuen Jahr treten diverse arbeitsrechtliche Änderungen in Kraft. Wir geben einen Überblick über die acht wichtigsten Anpassungen und Neuerungen.

1. Arbeitszeiterfassung: Muss mein Arbeitgeber meine Arbeitszeit erfassen?

Mit Urteil vom 13.09.2022 entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass Unternehmen gesetzlich verplichtet sind, die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer·innen zu erfassen. Die Kernaussage des BAG ist: Alle Arbeitgeber·innen müssen die Dauer der Arbeitszeit, die Pausenzeiten sowie die Überstunden aller Arbeitnehmer·innen erfassen. Genaue Vorgaben dazu, wie die Zeiterfassung umgesetzt werden soll, wurden bisher noch nicht getroffen.

Weil eine konkrete gesetzliche Regelung bislang fehlt, steht den Arbeitgebern aktuell ein Gestaltungsspielraum bei der Zeiterfassung zu. So können sie beispielsweise selbst entscheiden, ob diese elektronisch oder manuell erfolgen soll. Ein Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystem besteht nicht, ein Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung des Systems jedoch schon.

🚩 Persönliches To-Do? Keines!

2. Langzeiterkrankt: Verfallen meine Urlaubsansprüche bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit?

Bisher galt: Bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit verfällt der Urlaubsanspruch 15 Monate nach dem Jahr, in dem eine Person erkrankt ist.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat diese Regelung im Grundsatz bestätigt, aber erklärt, dass Unternehmen eine sogenannte Mitwirkungs- und Hinweispflicht haben. Wenn die Arbeitnehmer·innen im Urlaubsjahr gearbeitet haben, bevor sie krankheitsbedingt arbeitsunfähig oder voll erwerbsgemindert geworden sind, verfällt der Urlaub nur dann, wenn der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin der Hinweispflicht rechtzeitig nachgekommen ist. Arbeitgeber müssen Arbeitnehmenden also vor Ausfall ermöglichen, den Urlaub auch tatsächlich nehmen zu können.

🚩 Persönliches To-Do? Keines!

3. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Brauche ich den gelben Zettel, wenn ich krank bin?

Arbeitnehmende sind weiterhin verpflichtet, die Arbeitgeber·innen über ihre krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit zu informieren. Die Pflicht zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entfällt jedoch. Die gelben Zettel gehören damit der Vergangenheit an.

Ab Januar 2023 werden die gesetzlichen Krankenkassen stattdessen durch die Ärzte elektronisch über die Arbeitsunfähigkeitszeiten informiert. Die Krankenkassen stellen die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen elektronisch bereit, sodass die Arbeitgeber·innen diese Daten nach entsprechender Mitteilung durch die Arbeitnehmer·innen, abrufen können. Es gibt allerdings eine Übergangsfrist für Arzt-Praxen, die über die entsprechende Technik noch nicht verfügen.

🚩 Persönliches To-Do? Wie schon davor besteht die Pflicht weiter, den Arbeitgeber unverzüglich über eine Krankheit zu informieren. In manchen Arztpraxen, die noch nicht digital umgestellt haben, können nach wie vor die gelben Zettel ausgegeben werden, denn es besteht eine Übergangszeit.

4. Freiwillige Inflationsausgleichsprämie: Habe ich einen Anspruch auf 3.000 Euro?

Unternehmen können ihren Mitarbeiter·innen im Zeitraum zwischen dem 26. Oktober 2022 und dem 31. Dezember 2024 eine sogenannte Inflationsausgleichsprämie von maximal 3.000 Euro steuer- und sozialabgabenfrei auszahlen. Wichtig: Die Inflationsausgleichsprämie ist eine freiwillige Leistung der Unternehmen, auf die kein Rechtsanspruch besteht. Die Zahlung muss über die Vergütungspflicht hinaus gehen. Es dürfen also nicht etwa Bonus- oder Weihnachtsgeldzahlungen einbehalten und stattdessen eine Inflationsausgleichsprämie gezahlt werden.

🚩 Persönliches To-Do? Keines, denn die Unternehmen veranlassen diese Zahlung.

5. Was passiert mit meinem Urlaubsanspruch, wenn ich in Quarantäne muss?

Grundsätzlich gilt: Wer im Urlaub erkrankt, dem werden die Tage, an denen Urlaub und Krankheit zusammenfallen, nicht auf den Jahresurlaub angerechnet. Gilt das auch, wenn Arbeitnehmer·innen während der Urlaubszeit nicht erkrankten, sich aber in einer angeordneten Quarantäne befanden? Generell scheint das BAG an seiner bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, die eine nicht durch Krankheit hervorgerufene Beeinträchtigungen der Urlaubszeit ablehnt. Das würde für mögliche Fälle bis zum 16.09.2022 bedeuten, dass der Urlaubsanspruch mit einer Quarantäne untergeht.

Für Fälle seit dem 17.9.2022 steht fest, dass Quarantäne-Tage nicht vom Urlaub abgezogen werden.

🚩 Persönliches To-Do? Im Falle einer Quarantäne muss diese beim Arbeitgeber gemeldet werden, damit die Urlaubstage nicht verfallen.

6. Nachweisgesetz: Welche Informationen gehören in meinen Arbeitsvertrag?

Das neue Nachweisgesetz vom 1. August 2022 erweitert und ergänzt den Katalog der nachzuweisenden Vertragsbedingungen. Ziel des Gesetzes ist, dass Arbeitnehmer·innen über alle wesentlichen Inhalte des Arbeitsverhältnisses eine schriftliche Information erhalten. Unter anderen kommen nun folgende Punkte hinzu:

  • Enddatum oder Dauer eines befristeten Arbeitsverhältnisses
  • Dauer der Probezeit
  • Zusammensetzung und die Höhe des Arbeitsentgelts inklusive der Überstundenvergütung

Auch neu sind Informationspflichten zum Kündigungsschutzverfahren. Sie umfassen neben dem einzuhaltenden Verfahren zudem:

  • Kündigungsfristen
  • Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage
  • Hinweis auf das Schriftformerfordernis

Neu ist auch, dass für die Erbringung der einzelnen Nachweisinhalte unterschiedliche Fristen festgehalten sind und Verstöße gegen das Gesetz mit einem Bußgeld geahndet werden können.

🚩 Persönliches To-Do? Verträge gegenlesen und gegebenfalls Änderungen verlangen.

7. Hinweisgeberschutzgesetz: Wie werden Whistleblower geschützt?

Am 16. Dezember 2022 hat der Bundestag das Hinweisgeberschutzgesetz verabschiedet. Sobald der Bundesrat dem Gesetz zugestimmt hat, wird dieses vermutlich im Frühjahr 2023 in Kraft treten. Grundlage für die Regelung ist die EU-Whistleblowerrichtlinie, also der Schutz derjenigen Personen, die Missstände im eigenen Unternehmen wahrnehmen und melden können. Ziel des Hinweisgeberschutzgesetzes ist es, Meldungen in Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeiter·innen anonym zu ermöglichen, ohne dass Hinweisgeber·innen mit Nachteilen rechnen müssen. Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeiter·innen sind von dem Hinweisgeberschutzgesetz nicht betroffen.

Zur Erfüllung des Gesetzeszweckes wird es eine Beweislastumkehr geben. Das bedeutet, dass Arbeitgeber·innen bei nachteiligen Maßnahmen gegenüber Hinweisgebern beweisen müssen, dass diese nicht wegen dem gegebenen Hinweis ergriffen wurden, sondern einen anderen Grund haben.

🚩 Persönliches To-Do? Keines, Arbeitgeber·innen sind hier in der Pflicht.

8. Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz: Was müssen Unternehmen über ihre Zulieferer wissen?

Zum Jahresbeginn ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft getreten. Dieses verpflichtet in Deutschland ansässige Unternehmen, alle unmittelbaren Zulieferer auf die Einhaltung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten zu überprüfen und zu dokumentieren. Bei Verstößen drohen Sanktionen und Bußgelder. Das Gesetz gilt zunächst für große Unternehmen mit mindestens 3.000 Beschäftigten. Ab dem 1. Januar 2024 sind Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten betroffen.

🚩 Persönliches To-Do? Keines, es gehört zu den Aufgaben des Unternehmens für die Erfassung entsprechende Systeme einzurichten.

Annahmeverzugslohn und Kündigung

Positive Entwicklung für Arbeitgeber und gleichzeitig „Falle“ für Arbeitnehmer?

Laut den aktuellsten Zahlen des statistischen Bundesamts, die sich auf das Jahr 2020 beziehen, enden etwa zwei Drittel der arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten mit einem Vergleich. Das hat zumeist gute Gründe: Viele Arbeitnehmer wehren sich gegen eine Kündigung durch eine Kündigungsschutzklage. Das Verfahren kann sich in die Länge ziehen, daraufhin steigen die Kosten, das schwebende Verfahren belastet die Planungssicherheit der Parteien und das Vertrauensverhältnis ist häufig sehr angespannt. Eine belastende Situation für beide Parteien.

Annahmeverzug – Risiko für den Arbeitgeber

Doch gerade für den Arbeitgeber birgt die Kündigungsschutzklage finanzielle Risiken. Zum einen ist da der Kündigungsschutz der Arbeitnehmer, der der sozialen Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer Rechnung trägt und für die Wirksamkeit einer Kündigung hohe Anforderungen aufstellt. Zum anderen ist da der drohende „Annahmeverzugslohn“: Durch die Kündigung bringt der Arbeitgeber zum Ausdruck, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr anzunehmen. Stellt das Arbeitsgericht fest, dass die Kündigung unwirksam war, besteht das Arbeitsverhältnis fort und der Arbeitnehmer kann einen Anspruch auf Nachzahlung der Vergütung für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zur Entscheidung des Gerichtes geltend machen, obwohl er nicht gearbeitet hat. Dieser kann sich je nach Länge des Verfahrens auf mehrere Monats- oder sogar Jahresgehälter erstrecken. Doch besteht der Lohnanspruch immer und in voller Höhe?

Anrechnungspflicht des Arbeitnehmers

Nein! Der drohende Annahmeverzugslohn in Höhe mehrerer Monatsgehälter, dessen Abwendung viele Arbeitgeber zur Vergleichsbereitschaft inklusive hoher Abfindungszahlungen motiviert, hat Grenzen. Der Arbeitnehmer muss sich nämlich anrechnen lassen, was er durch anderweitige Arbeit verdient hat, oder durch andere Arbeit hätte verdienen können. Auch Sozialleistungen sind anzurechnen. Doch wie findet der Arbeitgeber heraus, ob überhaupt etwas anzurechnen ist?

Informationsanspruch des Arbeitgebers

Bereits in seiner Entscheidung vom 27. Mai 2020 (Az.: 5 AZR 387/19) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Rechte der Arbeitgeber gestärkt. Hier wurde dem Arbeitnehmer die Pflicht auferlegt, den Arbeitgeber über die Jobangebote der Arbeitsagentur und über seine Bemühungen, eine neue Arbeitsstelle zu finden, zu informieren. Der Arbeitgeber habe keinerlei andere Möglichkeit, auf legalem Weg Informationen über die Anrechnungspflicht des Arbeitnehmers und die Höhe des anzurechnenden Betrags zu erhalten. Deswegen sei der Informationsanspruch gerechtfertigt, so das BAG.

Bewerbungen als „Vollzeitjob“

Noch weiter geht eine aktuelle und bemerkenswerte Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes (LAG) Berlin-Brandenburg vom 30. September 2022 (Az.: 20 Ca 3918/20). Auch hier konnte der Arbeitgeber seinen Informationsanspruch durchsetzen und stellte dadurch fest, dass der Arbeitnehmer durch die Arbeitsagentur zahlreiche zumutbare Vermittlungsangebote erhalten hatte, sich jedoch hierauf nicht, oder nur unzureichend beworben hatte.

Das LAG stellte hierzu fest, dass der Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses beschäftigungslos und daher zu Bewerbungsbemühungen verpflichtet sei, die „dem zeitlichen Umfang einer Vollzeitstelle“ entsprechen. Er müsse sogar bei potenziellen Arbeitgebern nachhaken, wenn er auf seine Bewerbung keine Antwort erhalten habe. Das Gericht ging umfangreich auf die Qualität und Ernsthaftigkeit der Bewerbungen des Arbeitnehmers ein, die es ebenfalls als unzureichend bewertete. Aus diesen Gründen versagte das Gericht dem Arbeitnehmer jeglichen Annahmeverzugslohn.

Fazit

Es sei dahingestellt, ob gekündigte Arbeitnehmer – überspitzt gesagt – 40 Stunden in der Woche Bewerbungsbemühungen anstellen müssen. Viele Arbeitnehmer hoffen auf einen erfolgreichen Kündigungsschutzprozess und haben keineswegs mit Ihrer alten Arbeitsstelle abgeschlossen. Die Meinung des LAG Berlin-Brandenburg geht sehr weit und es bleibt abzuwarten, ob die aufgestellten Grundsätze zu Lasten der Arbeitnehmer von anderen Gerichten geteilt werden. Gleichwohl können sich Arbeitnehmer künftig nicht darauf verlassen, nach einem erfolgreichen Kündigungsschutzprozess Annahmeverzugslohn in voller Höhe zu erhalten, sondern sollten sorgfältig ihre anderweitigen Berufsaussichten prüfen und die Aufnahme einer zumutbaren Beschäftigung erwägen. Die jüngste Entwicklung der Rechtsprechung wird zweifellos aus Arbeitgebersicht begrüßt. Bei der Entscheidung über die Vorgehensweise im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens sind die Entscheidungen des BAG und des LAG Berlin-Brandenburg in jedem Fall zu berücksichtigen. Das gilt für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen.

Elektronische Arbeitsunfähigkeits­bescheinigung

ZDF Volle Kanne Talk mit Jens Niehl vom 09. Januar 2023

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BAG: Ein betriebliches Eingliederungsmanagement reicht nicht

Eine Kündigung wegen Krankheit ist möglich. Die Anforderungen an eine krankheitsbedingte Kündigung sind allerdings sehr hoch. Für den Arbeitgeber ist es verpflichtend, im Vorhinein Alternativen zur Entlassung auszuloten. Das Arbeitsverhältnis soll nur gekündigt werden können, wenn keine zumutbare Beschäftigungsmöglichkeit vorhanden ist. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat nun allerdings entschieden, dass ggf. ein weiteres betriebliches Eingliederungsmanagement angeboten werden muss (BAG, Urteil vom 18.11.2021 – 2 AZR 138/21). Dies ist der Fall, wenn der Mitarbeiter nach dem letzten Angebot erneut mehr als sechs Wochen krankheitsbedingt gefehlt hat. 
 
Allgemein zum betrieblichen Eingliederungsmanagement
 
Möchte der Arbeitgeber wegen häufiger oder langer Krankheit kündigen, muss er hohen Anforderungen genügen. Wichtig ist vor allem, dass er ein sog. betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) anbietet. Dies ist notwendig, sobald der Mitarbeiter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen (am Stück oder immer wieder) arbeitsunfähig ausgefallen ist.
 
Im Rahmen des bEM besprechen die Beteiligten, wie der Mitarbeiter leidensgerecht weiterbeschäftigt werden kann, um Fehlzeiten zu reduzieren oder zu vermeiden. In Betracht kommen je nach Erkrankung z.B. die Reduzierung der Arbeitszeit oder eine Versetzung.
 
Bietet der Arbeitgeber das bEM nicht an, ist eine spätere Kündigung zwar nicht per se rechtswidrig. Der Arbeitgeber hat dann allerdings vor Gericht zu beweisen, dass ein bEM keinerlei Möglichkeiten ergeben hätte, den Mitarbeiter sinnvoll und leidensgerecht weiterzubeschäftigen. Die Hürde liegt sehr hoch. Vor diesem Hintergrund ist oft die Rede davon, dass das bEM faktisch eine nahezu zwingende Voraussetzung der krankheitsbedingten Kündigung ist. 
 
Mitarbeiter erkrankt nach bEM erneut
 
Der Kläger ging gegen seine Kündigung vor, die ihm wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten ausgesprochen wurde. In den Jahren 2017 bis 2019 fehlte er an insgesamt 204 Arbeitstagen. Am 5. März 2019 initiierte der Arbeitgeber ein Gespräch mit ihm, um Möglichkeiten zu finden, ihn wieder in den Betrieb zu integrieren (bEM). Auch im Anschluss war der Mitarbeiter allerdings erneut an 79 Tagen arbeitsunfähig erkrankt. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber. Zwischen dem bEM-Gespräch und der Kündigung lag nicht einmal ein Jahr.
 
Der Kläger hielt die Kündigung für unwirksam. Er argumentierte, der Arbeitgeber hätte ein weiteres bEM durchführen müssen. Das erste reiche wegen der neuerlichen Fehlzeiten im Anschluss nicht mehr aus.
 
Bundesarbeitsgericht: zweites bEM war notwendig
 
Das BAG gab dem Kläger recht. In der Tat sei ein weiteres bEM anzubieten, wenn seit dem letzten bEM erneut mehr als sechs Wochen Fehlzeit angefallen sei. Das gelte auch dann, wenn seit dem letzten bEM noch kein Jahr vergangen sei. 
 
Dafür spreche schon der Wortlaut des relevanten § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX. Der Satz „Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig“ bestimme sprachlich keinen Mindestabstand zwischen zwei bEM-Gesprächen.
 
Auch der Zweck des Gesetzes spreche für ein weiteres bEM. Die Schwelle von sechs Wochen Fehlzeit sei gewählt worden, weil ab diesem Zeitraum eine krankheitsbedingte Kündigung oft gerechtfertigt sei. Um einer Entlassung vorzubeugen, sei aber möglichst zeitnah nach Integrationsmöglichkeiten zu suchen. Damit bis zum Ablauf eines Jahres abzuwarten, ergebe keinen Sinn.
 
Die Beklagte habe nicht dargelegt, dass ein erneutes bEM schon deshalb kein positives Ergebnis erbracht hätte, weil bereits das zuvor durchgeführte kein solches ergeben habe.
 
Die Beklagte habe auch nicht hinreichend dargelegt, dass die Durchführung eines (weiteren) bEM keine positiven Ergebnisse hätte zeigen können. Für die objektive Nutzlosigkeit trage der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast. Dazu müsse er umfassend und konkret vortragen, weshalb weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung und Veränderung möglich war und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können.
 
Wann ist das bEM abgeschlossen?
 
Die Entscheidung des BAG führt zu einer wichtigen Folgefrage: Ab wann ist ein bEM abgeschlossen? Der Zeitpunkt ist wichtig, weil Arbeitgeber anschließende Fehlzeiten ggf. zu einem erneuten bEM verpflichten. Die Richter des BAG geben folgende Hinweise: 

  • Ein bEM ist jedenfalls dann abgeschlossen, wenn sich Arbeitgeber und  Arbeitnehmer darüber einig sind.
  • Dasselbe gilt, wenn der Arbeitnehmer das bEM ablehnt oder dessen weiterer Durchführung nicht zustimmt.
  • Einseitige Abbrüche durch den Arbeitgeber sind nicht möglich. Stellt dieser seine Bemühungen ein, kommt das bEM erst zum Abschluss, wenn auch alle anderen Beteiligten keine ernsthaften Ansätze für Präventionsmaßnahmen benennen. Der Arbeitgeber kann ihnen hierzu eine angemessene Frist nennen.

Fazit
 
Die Hürden für eine krankheitsbedingte Kündigung liegen unverändert hoch. Selbst wenn der Arbeitgeber bereits ein bEM angeboten hat, muss er ggf. erneut dieselbe Initiative ergreifen. Arbeitgebern ist daher zu raten, nach einem unergiebigen bEM rasch die Kündigung auszusprechen. Für Arbeitnehmer gilt einmal mehr: Selbst augenscheinlich gut vorbereitete Kündigungen sind oft angreifbar.

Auszeichnung Handelsblatt 2021

Im Anwälte-Ranking des Handelsblatts 2021 werden Dr. Eva Graune, Herr Markus Tönjann und Herr Jens Niehl im Bereich Arbeitsrecht zum wiederholten Male als „Best Lawyers“ gelistet.

Die Homeoffice-Pflicht läuft aus – was Sie nun beachten sollten!

Mit Ablauf des 30.06.2021 wird die Pflicht der Arbeitgeber, den Arbeitnehmern „dort wo es möglich ist“, Homeoffice anzubieten, auslaufen. Mit Ablauf der Homeoffice-Pflicht entfällt demnach auch für viele Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Rechtsgrundlage, nach der in den vergangenen Monaten im Homeoffice gearbeitet wurde. Viele Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen werden dann in die Büros zurückkehren oder aber ohne hinreichende arbeitsrechtliche Regelung im Homeoffice arbeiten. Wie aber sollen Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Regelungen rund um das Thema Homeoffice künftig ausgestalten? Eine Klausel im Arbeitsvertrag oder eine zulässige Betriebsvereinbarung ist empfehlenswert!

Ohne vertragliche Einigung besteht keine Rechtsgrundlage!

Enthält der Arbeitsvertrag, der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung keine Vereinbarung, besteht auch keine Rechtsgrundlage, die die Arbeit im Homeoffice regelt. Demnach besteht für den Arbeitnehmer weder die Pflicht noch das Recht, im Homeoffice zu arbeiten. Der Arbeitgeber hat keine Möglichkeit, einseitig anzuordnen, dass der Arbeitnehmer seine Tätigkeit im Homeoffice zu verrichten hat. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers gemäß § 106 Abs. 1 GewO stellt insoweit keine hinreichende Regelung dar. Dies gilt umso mehr, da in Zeiten der niedrigen Inzidenzwerte der Arbeitnehmer regelmäßig nicht verpflichtet sein dürfte, aus Gründen des Gesundheitsschutzes seine Arbeit im Homeoffice zu verrichten. So sind verschiedene Situationen denkbar, in denen sich das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf rechtlich unsicherem und unbefriedigendem Terrain befindet: 

Sie möchten Ihren Arbeitnehmern verbindlich Homeoffice anordnen, um die Kontakte im Betrieb zu reduzieren? Ohne Regelung haben Sie kein Recht dazu. 

Sie möchten gelegentlich im Homeoffice arbeiten, um an einzelnen Tagen die Kinderbetreuung flexibler gestalten zu können? Ohne Regelung haben Sie keinen Anspruch hierauf.

Eine verbindliche Regelung schafft Klarheit und Einigkeit!

Daher ist eine klare Regelung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber empfehlenswert! Als Arbeitgeber kann es sinnvoll sein, sich für bestimmte Situationen das Recht vorzubehalten, dem Arbeitnehmer verbindlich die Arbeit im Homeoffice anordnen zu können. Vielleicht möchten Sie künftig Ihre Büroräume verkleinern, aber an der Zahl Ihrer Arbeitnehmerinnen festhalten? Solche Pläne können umgesetzt werden, wenn Sie Ihre Arbeitnehmer flexibel ins Homeoffice schicken können.

Ebenso sollten Sie als Arbeitnehmer darauf achten, dass Ihr Arbeitsvertrag Ihre Vorstellungen rechtlich absichert. Sie möchten künftig 2-3 Tage im Homeoffice arbeiten? Dann sollten Sie auf eine entsprechende Regelung im Arbeitsvertrag bestehen. 

Für Ihre Vorstellungen finden wir eine Lösung. Sprechen Sie uns gerne an!

Was tun, wenn der Chef mobbt?

Kurzes Statement von Jens Niehl, LL.M. (University of Cape Town) im Spiegelartikel: “Was tun, wenn der Chef mobbt?“

Müssen Überstunden bezahlt werden?

Fachanwalt für Arbeitsrecht Jens Niehl zu Gast beim WDR in der aktuellen Stunden

Alle Arbeitsstunden müssen dokumentiert werden. Das hatte der Europäische Gerichtshof geurteilt. Bundes-Wirtschaftsminister Altmaier will das Grundsatzurteil zur Arbeitszeiterfassung jedoch vorerst nicht umsetzen. Das ist ein Anlass zu fragen: Wie klappt’s denn mit den Überstunden?

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ACHTUNG

Warnung vor betrügerischen E-Mails